Ist die Möbelbranche der große Corona-Profiteur?

Gastbeitrag von Sebastian Deppe - BBE Handelsberatung

Die Möbelbranche wurde – wie die allermeisten Einzelhändler – direkt und hart von den temporären Ladenschließungen getroffen. Mittlerweile wird jedoch deutlich, dass die geschäftlichen Folgen je nach Bundesland sehr unterschiedlich ausfallen. Bei einigen Händlern herrscht sogar fast schon eine euphorische Stimmung. Viele von ihnen konnten schon im Juli, einige erst im August die Umsatzverluste aus dem Shutdown aufholen und in nicht wenigen Fällen sogar überkompensieren. Allzu laute Jubelschreie dürften dennoch nicht aus der Branche zu vernehmen sein.

Die Spreu trennt sich

Schauen wir differenzierter hin, dann zeigt sich, dass die Entwicklungen je nach Preisgenre, Standortlage und dem Vertriebskonzept („Offline“ versus „Online“ versus „Multichannel“) recht unterschiedlich verlaufen. Zuletzt waren auch Faktoren wie der Sortimentsmix, die Lieferantenstruktur und die Lieferfähigkeit relevant dafür, wie gut die Betriebe weitermachen konnten.

Ein Faktor, den man nicht außer Acht lassen sollte, ist jedoch das Vertrauen der Kunden. Vertrauen war für den Möbelkauf schon immer besonders wichtig: Kunden brauchen Vertrauen in die Qualität der Möbel, die eine größere Anschaffung darstellen und lange halten sollen. Sie brauchen Vertrauen in die Urteilskraft der Einrichtungsberaterin oder des -beraters, Vertrauen in den guten Namen des Möbelhauses (auch wenn dies durch willkürliche Rabattaktionen teilweise infrage gestellt wurde). In der Krise nahm die Relevanz des Faktors „Vertrauen“ nochmal einmal deutlich zu, vor allem da sich viele Menschen während der Selbstisolation verstärkt der Einrichtung ihres Zuhause gewidmet haben (Cocooning). Anbieter, die auf ein größeres Kundenvertrauen bauen können, profitierten stärker von den Sondereffekten als andere. Es kommt ganz auf das Management und dessen Führungsstärke, Mut, Struktur und Stressresistenz an, wie erfolgreich ein Unternehmen oder Betrieb durch die Krise kommt.

Ein Blick auf 2021 bringt Hoffnung

Vorsicht ist daher weiter angebracht. Auch wenn die jetzige Euphorie beflügelt und vielen Betrieben guttut, darf dies nicht zu der Annahme führen, dass dieser Zustand nun so bleibt oder sogar das „New Normal“ ist. Den jetzigen Sondereffekten, den Trends zum „Cocooning“ und zur Lokalität, aber auch die Solidarität mit mittelständischen Unternehmen der Möbelbranche, steht die verfügbare Kaufkraft und die Einschätzung der eigenen Arbeitsplatzsicherheit entgegen.

Folgende Prognose zeigt die möglichen Entwicklungen bis ins Jahr 2021: Je nach den Rahmenbedingungen (globale Wirtschaftsentwicklung, Überwindung der Pandemie, Wiederaufnahme der Urlaubsgewohnheiten) fallen die Szenarien unterschiedlich aus. Von einer weiteren Befeuerung der Kauflust im Bereich Living bis hin zu einer Katerstimmung im Möbelhandel aufgrund der realisierten Vorziehungseffekte und der Aufschiebung von weiteren Kaufwünschen in Anbetracht der unsicheren wirtschaftlichen Lage, ist alles möglich.

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Die Prognose zur Umsatzentwicklung in der Branche Möbel und Einrichtungsbedarf bis zum Jahr 2021.

Das ist jetzt zu tun

Aktuell ist es wichtig, dass die Unternehmen möglichst viel von den aktuellen Sondereffekten mitnehmen. Dabei müssen zwingend Kapazitätsgrenzen (vor allem in der Auslieferung) und weitere Prozessqualitäten und -kosten genau im Auge behalten werden. Nicht jeder Umsatzanstieg führt automatisch zu Rendite. Schon früher wurden Umsatzsprünge mit erhöhten Kosten und Qualitätsmängeln „erkauft“, die teils zu nachhaltig negativen Effekten führten. Zudem führten die Vorziehungseffekte oft zu fehlenden Umsätzen in der Zukunft.

Um die jetzige Abschöpfung der Kaufkraft fortzuführen, ist Vertrauen das wichtigste. Oft sind es vermeintlich kleine Stellschrauben, die das Kundenvertrauen stärken können, etwa die persönliche Begrüßung der Kunden oder eine Wohlfühlatmosphäre, sobald die Desinfektionsspender am Gebäudeeingang passiert wurden.

Eine andere Möglichkeit ist es, den Kunden gezielt Finanzierungsangebote für den Möbelkauf zu machen, beispielsweise über einen Ratenkauf. Noch immer wird hierbei von den Unternehmen unnötig viel Potenzial verschenkt. Dabei können diese Instrumente gerade in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten vielen Kunden helfen, die für die Zeit des kurzen, aber harten Wirtschaftseinbruchs keine großen Rücklagen haben.

Was ist mit Blick auf die Zukunft noch wichtig?

Eine Prognose ist schwierig und die möglichen Szenarien gehen inmitten der Unsicherheit weiter auseinander als jemals zuvor. Für die Unternehmen bedeutet das, dass Flexibilität und Entscheidungsschnelligkeit immer wichtiger werden.

Eine agile Organisation und gute Reportings sind demnach unumgänglich, um schnell und wirksam gegensteuern zu können. Dabei ist es grundsätzlich vorteilhaft, sich auf ein pessimistisches Szenario einzustellen und dafür Pläne zu entwickeln, aber in einem verhalten optimistischen Szenario zu agieren.

Aus strategischer Sicht hat sich zudem einmal mehr bewahrheitet, wie wichtig die Digitalisierung der Organisation mittlerweile geworden ist. Dabei geht es nicht allein um den Vertriebskanal, sondern vielmehr um die Digitalisierung aller relevanten Prozesse und insbesondere der Kommunikation mit den Kunden, und zwar von der Erstansprache bis zum Aftersales. Viele Unternehmen – das hat sich in der Krise gezeigt – waren durchaus mutig, neue Wege zu gehen, was auch dadurch begünstigt wurde, dass die Kunden offener für Neues sind und den Unternehmen fehlgeschlagene Digitalisierungsexperimente gerne verzeihen.

Über den Autor

Sebastian Deppe
ist Leiter Unternehmensberatung bei der BBE Handelsberatung, München

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